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Europa bremst – und wie die Schweiz jetzt reagieren muss

Rede von Christoph Buser, Direktor der Wirtschaftskammer Baselland

Onlinefassung zum Tag der Wirtschaft 2025

 

Wir Schweizer lieben Vertrautheit und Stabilität. Viele von uns gehen seit Jahren an den gleichen Ort in die Skiferien oder die Sommerferien, und selbst kleine Wahlverschiebungen werden als Ereignis wahrgenommen. Diese Stabilität hat uns geprägt. Vielleicht spüren wir genau deshalb heute besonders stark, dass sich vieles verändert. Wer am Morgen die Nachrichten liest, merkt: Die Welt ist in Bewegung – aber nicht mehr in jene Richtung, die uns vertraut ist.

 

Diese Verunsicherung trifft die Bevölkerung jetzt deutlicher als früher. Unsere KMU dagegen kennen dieses Gefühl seit Jahren. Sie leben mit Unsicherheit, ganz egal ob der Franken erstarkt, die Kosten steigen oder geopolitische Spannungen neue Zölle bringen. Und doch bleiben sie innovativ, investieren, passen sich an. Resilienz ist für sie kein Schlagwort – sondern ein täglicher Akt der Verantwortung. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer wissen zu Beginn jedes Tages, dass sie ihr Geschäft wieder ein Stück weit neu erfinden müssen. Dieses «Nicht klagen, einfach machen» ist die Haltung, die uns als Land stärker machen könnte, wenn wir sie breiter verinnerlichen würden.

 

 

Wie wir uns in einer unberechenbaren Welt verhalten müssen

 Die Schweiz hat alles, was es braucht, um diese Veränderungen zu meistern. Aber wir müssen den Schalter umlegen. Eine unberechenbare Welt verlangt mehr Mut und mehr Bereitschaft zur Veränderung, als wir in den letzten Jahren gezeigt haben.

 

Die zentrale Frage lautet: Wie bringen wir eine Gesellschaft dazu, so zu denken?

Politik reagiert erst, wenn die Bevölkerung bereit ist. Solange dieses Signal fehlt, bleibt sie im Modus der Risiko-Vermeidung. Kein politischer Akteur erhebt gerne die Stimme, wenn er spürt, dass die Gesellschaft die unbequeme Wahrheit noch nicht hören will.

 

Darum haben wir als Wirtschaft die Verantwortung, diesen Mentalitätswechsel vorzuleben. Die Welt wird nicht wieder so stabil wie in den 1990er-Jahren. Stabilität wird etwas, das man sich erarbeiten muss – durch Anpassungsfähigkeit, Pragmatismus und den Mut, unbequeme Themen anzusprechen.

 

 

Warum die Wirtschaftskammer 16 Initiativen eingereicht hat 

Die 16 Initiativen der Wirtschaftskammer sind nicht entstanden, weil wir Lust auf politische Auseinandersetzungen hatten. Sie entstanden aus hunderten Gesprächen. Aus Rückmeldungen von Betrieben, die uns sagen: «Wir wollen hier investieren, aber wir stossen an Hürden, die vermeidbar wären.»

 

Der Wirtschaftsstandort Baselbiet trägt grosses Potenzial in sich. Doch immer mehr Unternehmen sagen, dass sie dieses Potenzial hier nicht mehr voll ausschöpfen können. Manche denken laut darüber nach, Erweiterungsinvestitionen ausserhalb des Kantons zu tätigen.

 

Der politische Betrieb reagiert darauf mit Zurückhaltung. Man diskutiert über Form, Aufwand und Verwaltung, aber selten über die Frage, wie wir unseren Standort stärken. Unsere Initiativen sind kein Angriff – sondern ein Weckruf. Sie sollen die Politik motivieren, wieder nach vorne zu denken, nicht nur zu verwalten.

 

Wir werden für diese Initiativen kämpfen. Nicht für uns – für die Unternehmen, die in diesem Kanton investieren, ausbilden, Arbeitsplätze schaffen und Verantwortung tragen.

 

 

Energie, Verkehr und die Frage der Prioritäten 

Der Reformstau wird nirgends so deutlich wie in der Energiepolitik.

Jeder weiss: Die digitale Zukunft braucht enorm viel Strom. Elektromobilität, Industrieanlagen, Rechenzentren, Künstliche Intelligenz – all das vervielfacht den Bedarf. Doch politisch verhalten wir uns, als genüge ein bisschen Zubau von erneuerbaren Energien, kombiniert mit kleinen Justierungen. So wird es nicht reichen. Und eigentlich wissen alle, dass es nicht reichen kann.

 

Es wirkt manchmal wie «Des Kaisers neue Kleider»: Man sieht das Problem, aber niemand sagt es laut. Wir brauchen eine ehrliche Energiezukunft – nicht als Klimapolitik, sondern als Standortpolitik. Selbst Bill Gates, sicher kein Klimaleugner, weist inzwischen darauf hin, dass eine Fixierung auf Ziele ohne funktionierende Systeme die falschen Prioritäten setzt.

 

Gleiches gilt für den Verkehr. Die A2 steht täglich im Megastau. Die Schäden gehen in die hunderten Millionen. Und doch verliert sich die politische Diskussion in Nebenschauplätzen wie einer Gondel über den Rhein. Das wirkt harmlos, ist aber symptomatisch für eine Politik, die sich schwer damit tut, die grossen Fragen anzugehen.

 

 

Die europäische Grundsatzfrage 

Für die Schweiz stellt sich im Verhältnis zu Europa eine Frage, die weit über einzelne Dossiers hinausgeht: Wollen wir Probleme zentral lösen lassen, in einem grossen Gebilde, das Kompromisse über 27 Länder hinweg finden muss? Oder lösen wir Probleme dort, wo sie entstehen – in Gemeinden, Kantonen, in der Nähe der Bevölkerung?

 

Das «System Schweiz» zwingt uns zur Eigenverantwortung. Unsere Vorfahren haben dieses Land von unten her aufgebaut, nicht von oben. Bei uns ist der Bürger der Chef, nicht eine entfernte Instanz. Föderalismus, Selbstbestimmung, Pragmatismus – das sind keine nostalgischen Begriffe. Es sind funktionierende Prinzipien.

 

Der französische Denker Alexis de Tocqueville hat vor über 150 Jahren beschrieben, wie Gemeinwesen zerfallen: wenn die Distanz zwischen Staat und Bevölkerung zu gross wird, wenn Entscheidungen immer weiter weg rücken und die Menschen innerlich aussteigen. Diese Warnung wirkt heute erstaunlich modern.

 

Wir werden diese Systemfrage schon bald beantworten müssen. Welche Antwort es auch wird: Wir sollten uns nicht kleiner machen, als wir sind.

 

 

Die Jugend – und die wachsende Zukunftsangst 

Wenn wir über die Zukunft sprechen, müssen wir über die Jugend sprechen. Junge Menschen wachsen heute in einer Welt auf, die ihnen häufiger Angst macht als Hoffnung. Klimadebatten, Pandemie, geopolitische Krisen, ein Rentensystem, das unter Druck steht – das prägt.

 

Studien zeigen: Ein beträchtlicher Anteil der Jugendlichen hat Angst, Kinder zu bekommen, weil sie an eine düstere Zukunft glauben. Gleichzeitig nimmt das ökonomische Grundverständnis ab. Viele Jugendliche wissen zwar, wie Begriffe heissen – aber nicht mehr, was sie bedeuten.

 

Das ist kein Vorwurf. Es ist unsere Verantwortung. Wir haben aufgehört, ökonomische Zusammenhänge verständlich zu erklären. Viele Jugendliche erleben Wohlstand als etwas, das «einfach da ist». Nicht als das Ergebnis von Arbeit, Ideen und Mut.

 

 

Die HDW Academy – ein Werkzeug für die nächste Generation 

Genau hier setzt unsere neue Initiative an.

Die bestehende HDW Academy vermittelt KMU heute betriebswirtschaftliches Wissen. Nun wollen wir sie erweitern: um einen Teil «Politik».

 

Wir wollen jungen Menschen zeigen:

  • wie die Schweiz funktioniert

  • wie Wertschöpfung entsteht

  • warum Mitsprache und Verantwortung zusammengehören

  • wie Freiheit und Wohlstand sich gegenseitig bedingen

  • warum wirtschaftliches Denken nichts Elitäres ist, sondern ein Werkzeug für Selbstbestimmung

 

Und wir wollen weitergehen: Wir planen einen Kurs mit 25 Plätzen für junge Menschen aus dem KMU-Umfeld, die Verantwortung übernehmen wollen – im Landrat. Sie werden nicht alle gewählt werden. Aber sie sollen befähigt werden, gute Entscheide zu treffen, Zusammenhänge zu verstehen und sich einzubringen.

 

Es geht nicht um Einfluss. Es geht um Mündigkeit. Um einen neuen politischen Realismus. Und darum, den Nordstern wieder sichtbar zu machen: Freiheit, Verantwortung, Wohlstand.

 

 

Was jetzt zählt 

Die kommenden Jahre werden uns fordern. Die Welt ist im Wandel, Europa bremst, und die Schweiz steht in Gefahr, sich klein zu machen. Die Jugend zweifelt. Die Politik verwaltet mehr, als sie gestaltet.

 

Aber wir sehen auch das Gegenteil: 4’000 Menschen am Tag der Wirtschaft – die meisten aus KMU –, die jeden Tag Verantwortung tragen. Die nicht warten, bis ein anderer handelt. Die aufbauen, investieren, mutig bleiben. Genau dieser Geist hat die Schweiz gross gemacht.

 

Wenn wir wollen, dass dieses Land auch in Zukunft ein Ort der Chancen bleibt, dann müssen wir jetzt handeln. Nicht morgen. Nicht irgendwann. Jetzt.

  • Mit den 16 Initiativen.

  • Mit einer Politakademie, die Wissen zurück in die Gesellschaft bringt.

  • Mit einer Haltung, die sich nicht beugt, wenn andere zögern.

 

Die Schweiz war immer dann am stärksten, wenn sie sich auf sich selbst verlassen hat.

Wenn sie Zukunft nicht gefürchtet, sondern gestaltet hat.

 

Wenn ein Funke für einen neuen Aufbruch irgendwo entstehen kann – dann hier, in dieser Region, mit diesen Menschen.

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