Europa bremst: Appelle für mehr Wirtschaftswachstum und eine ehrliche Energiepolitik am Tag der Wirtschaft 2025
Mit einem neuen Zuschauerrekord startete das Highlight der Wirtschaftsregion Baselland. Über 4000 Besucherinnen und Besucher kamen am 20. November in die St. Jakobshalle, um die Reden von hochkarätigen Speakern mitzuerleben. Das Thema: «Europa bremst: Die Folgen für die Schweizer Wirtschaft.» Höhepunkte des Tages waren die Referate von Bundesrat Guy Parmelin und Christian Lindner, dem ehemaligen deutschen Bundesminister für Finanzen.
Schon während der Ticketvergabe im Vorfeld vom Tag der Wirtschaft zeichnete sich ab – es wird einen neuen Besucherrekord geben. Noch nie im über 10-jährigen Bestehen des überregionalen Wirtschaftsevents war das Interesse so gross gewesen. Durch die rund zweieinhalb Stunden dauernde Veranstaltung führte der vielen vom Schweizer Fernsehen her bekannte Moderator Rainer-Maria Salzgeber.
Roman Mayer, Präsident der Wirtschaftskammer Baselland, begrüsste die Besucherinnen und Besucher in der St. Jakobshalle, bevor Rainer-Maria Salzgeber mit einem Augenzwinkern bemerkte: Dieser Anlass sei bereits so bekannt, dass das Gerücht umgehe, im Bundesratzimmer werde gestritten, wer hier am Tag der Wirtschaft auftreten dürfe. Dieses Jahr war es Wirtschaftsminisiter Guy Parmelin. Er erzählte von den schwierigen Verhandlungen mit der aktuellen US-Regierung, um niedrigere Zölle zu erreichen. Und dass jetzt eine Einigung von 15 Prozent vorliege. 15 Prozent seien «nicht ideal», so Parmelin. «Aber es ist ein besseres Resultat als 39 Prozent. Und wir sind damit wieder konkurrenzfähig gegenüber Unternehmen aus der EU.» Er könne leben mit dem Resultat, sagte Parmelin, auch wenn er nicht euphorisch sei. Aber schliesslich gehe es um viele Arbeitsplätze in der Schweiz. Das Verhandlungsresultat sei einem gemeinsamen Effort von ganz vielen Kräften aus der Schweizer Wirtschaft – auch aus dem Baselbiet – und der Bundesverwaltung zu verdanken. «Wir alle sind das Team Switzerland», so der Wirtschaftsminister.
Speaker verlangten Rückkehr zu Wirtschaftswachstum
Den Auftakt zu einer Reihe von spannenden Referaten machte David Bosshart, Präsident der Duttweiler-Stiftung und Wirtschaftsphilosoph sowie «Standpunkt der Wirtschaft»-Kolumnist. «Wir schlagen uns in der Schweiz aktuell unter unserem Wert», sagte er mit Blick auf die globale Veränderungen in Wirtschaft und Politik. Für ihn sind jetzt Leader gefragt. «Führung heisst gesundes Selbstbewusstsein und Leidenschaft, aber auch Leidensfähigkeit.» Bezüglich Wirtschaftswachstum hielt Bosshart fest, dass sich «die Robustheit einer Nation nicht nur am BIP-Wachstum» messe, «sondern auch an der politischen Form». Und hier sieht er deutliche Vorteile für die Schweiz. «Kleine Nationen schlagen sich in der Regel besser in Europa als grosse», sagte Bosshart.
Christian Lindner, ehemaliger deutscher Bundesminister für Finanzen, lenkte in seiner Rede den Blick auf die «regulatorische Last», die Unternehmen in Deutschland und der EU zu tragen haben. Ein Übermass an staatlichen Regulationen sind für Lindner Hauptfaktor für die «Wirtschaftsschwäche» in Europa. Der ehemalige deutsche Bundesminister für Finanzen sieht zwei Dinge, die es braucht, damit die Unternehmen wieder wettbewerbsfähiger werden und mehr in die Innovation investieren können: weniger staatliche Regulierung und bezahlbare Energie. Dass das Ausbleiben von Wirtschaftswachstum in vielen Gesellschaften nicht mehr als Problem empfunden werde, sei das eigentliche Problem, so Lindner. «Es ist eine starke Wirtschaft, die die Pflöcke einschlägt, an der das soziale Netz aufgeknöpft werden kann.» Geopolitische Stärke leite sich aus wirtschaftlicher Stärke ab. Wenn Europa auf der Welt ernst genommen werden wolle, gebe es nur eine Option: «Entweder sitzen wir am Tisch der Mächtigen durch unsere Wirtschaftskraft, oder wir liegen auf dem Tisch der Mächtigen.»
Wie zentral genügend bezahlbare Energie für eine prosperierende Wirtschaft ist, zeigte Lino Guzella, Maschineningenieur und ehemaliger ETH-Rektor und -Präsident, unmissverständlich auf. Sein Fazit: Ohne Energie läuft nichts. Unser gesamter heutiger Wohlstand basiert auf der Verfügbarkeit von Öl, Erdgas und Kohle. «Unbestritten ist, dass sich das Klima verändert», sagte Guzella. «Aber wenn der CO₂-Ausstoss der Schweiz bis 2050 auf null sinken soll, brauchen wir neue Energiequellen – und zwar sehr schnell.» Denn allein mit Solar, Wind und Wasserkraft lasse sich der Energiebedarf von Industrie, Gewerbe und Privathaushalten nicht decken. Mit Blick auf die wirtschaftlichen Konsequenzen der Schweizer Netto-Null-Politik warnte Guzella: «Der Umstieg allein auf Wind und Solar wird für die Bevölkerung nicht schmerzlos über die Bühne gehen.» Auch im globalen Kontext dämpfte er Illusionen: Die kleine Schweiz habe keinen Einfluss auf den weltweiten CO₂-Ausstoss; Länder wie China oder Indien gäben hier den Takt an – und daran werde sich absehbar nichts ändern. Im Gegenteil: Indien habe einen enormen zusätzlichen Energiebedarf und werde diesen weitgehend mit fossilen Energieträgern decken. Sein Schlusswort: «Die Welt braucht deutlich mehr Energie. Absichtserklärungen sind gut, Resultate sind besser, Denkverbote sind schlecht. Und der Umbau muss so erfolgen, dass eine zuverlässige und bezahlbare Versorgung jederzeit sichergestellt ist.»
Was das alles für das Baselbiet bedeutet, führte Christoph Buser, Direktor der Wirtschaftskammer Baselland, aus. In seiner Rede appellierte er: Verantwortung übernehmen – und die Zukunft aktiv gestalten. «Unsere KMU leben seit Jahren mit Unsicherheit: starker Franken, hohe Kosten, neue Zölle, geopolitische Spannungen. Trotzdem investieren sie, passen sich an und finden neue Wege», sagte Buser. «Diese Haltung braucht jetzt der ganze Kanton. Die Schweiz hat alles, was es braucht – aber der Schalter muss endlich umgelegt werden.»
Besonders sichtbar sei der fehlende Mut zur Realität in der Energiepolitik: Alle wüssten, dass die digitale Zukunft enorm viel Strom brauche, doch der Ausbau der Produktion bleibe halbherzig. Ähnliche Parallelen sehe er im Verkehr: «Auf der A2 steht man fast ständig im Dauerstau, und politisch diskutieren wir über eine Gondel über den Rhein.»
Ein Schwerpunkt von Buser war auch die junge Generation. Viele Jugendliche wüchsen in einer Welt auf, die ihnen eher Angst als Hoffnung mache – und zugleich nehme das ökonomische Grundverständnis ab. «Wohlstand gilt zu oft als etwas, das einfach da ist, nicht als Ergebnis von Arbeit, Ideen und Mut.» Genau hier setze die HDW Academy an: Sie vermittle heute betriebswirtschaftliches Wissen für KMU und soll nun um einen Teil «Politik» erweitert werden. «Wir wollen jungen Menschen zeigen, wie die Schweiz funktioniert, wie Wertschöpfung entsteht und warum Freiheit, Verantwortung und Wohlstand zusammengehören», so Buser.
Debattenduell im Polit-Talk
Bereits zum zweiten Mal gab es den Polit-Talk zu sehen. Zwei Politikerinnen, dieses Jahr Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher (SVP) und Ständerätin Marianne Binder-Keller (Mitte), sprachen jeweils exakt sechs Minuten zu den Themen: Helfen die EU-Verträge der KMU-Wirtschaft? Bringen die EU-Verträge den KMU mehr Rechtssicherheit? Das Publikum bezeugte mittels Klatschen die grössere Sympathie für die Argumente von Nationalrätin Martullo-Blocher mit ihrer EU-ablehnenden Haltung.
Michael Köhn, stellvertretender Direktor der Wirtschaftskammer Baselland, diskutierte anschliessend mit Roman Mayer und Cédric Christmann; CEO von Primeo Energie, über Innovationen, Wirtschaftswachstum, Investionen und Energieversorgung aus Sicht der regionalen KMU. Auch hier waren die ständig wachsenden Regulierungen und Bestimmungen als Blockade ein wichtiger Punkt.
SIC-Gewinner und VIP-Dinner
Wie jedes Jahr wurde am Tag der Wirtschaft auch der Gewinner des Innovationswettbewerbs Swiss Innovation Challenge (organisiert von der Wirtschaftskammer Baselland und der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW) gekürt. Gewonnen wurde der Wettbewerb von MoleSense. MoleSense entwickelt «molekulare Wearables» für die Schwangerschaft: Sensorpflaster überwachen kontinuierlich biochemische und biophysikalische Marker und verknüpfen sie mit biologie-bewusster KI. So sollen Risiken früher erkannt, Diagnosen verbessert und Komplikationen reduziert werden – remote, nichtinvasiv und prädiktiv. Als EPFLSpin-off treibt MoleSense präventive Mutterschaftsmedizin voran und integriert die Technologie in klinische Abläufe.
Bundesrat Guy Parmelin überreichte dem Gewinner persönlich die Siegertrophäe und Christian Lindner einen Check in der Höhe von 20’000 Franken. Zusätzlich wurde die Firma VAULTED AG mit dem Sonderpreis Bau der Ulrich Stamm-Wohltätigkeitsstiftung ausgezeichnet und erhielt 12’500 Franken.
Nach dem Kongress fanden sich rund 800 Personen beim VIP-Networking-Dinner ein. Die Spitzengastronomen Denis Schmitt (Restaurant Le Murenberg, Bubendorf), Martin Schreck (Wassermann & Company) sowie Rolf Mürner (Pâtisserie-Weltmeister, Autor) servierten den Gästen ein mehrgängiges Menü, während Rainer Maria Salzgeber durch das Dinner moderierte und für beste Unterhaltung sorgte.